Warum wir unseren Wohlstand nur sichern können, wenn es den Anderen besser geht

Reisen in Schwellenländer bildet und öffnet die Augen. Es schafft ein Bewusstsein dafür, wie gut es uns geht – und warum gerade auch wir großes Interesse daran haben sollten, dass es dem ärmeren Teil der Weltbevölkerung merklich besser geht. Ein Reisebericht:

Knapp drei Wochen waren wir unterwegs. Vietnam und ein paar Tage Zwischenstopp in Shanghai standen auf dem Programm. Ich bin kein großer Freund von „jeden Tag ein neues Ziel“. Ich hasse „abhaken“. In einer Stadt/in einem Land muss ich nicht alles gesehen haben. Viel schöner finde ich es, in Ruhe durch die Straßen zu schlendern oder sich einfach an den Straßenrand zu setzen und das vorbeiziehende Leben zu beobachten. Herrlich!

Nun waren wir einen Großteil der Zeit in Vietnam. Vietnam ist ein Schwellenland, von der staatlichen Struktur ähnlich aufgestellt wie China: Politisch diktatorisch, wirtschaftlich (halbwegs) freiheitlich. Genauer gesagt: Es gibt eine einzige Partei, die das Land lenkt. Trotzdem wurde die Wirtschaft seit 1989 Stück für Stück marktwirtschaftlich aufgestellt.

Fährt man durch die Straßen von z.B. Ho Chi Minh City (das ehemalige Saigon), spürt man, was mit Schwellenland gemeint ist: Überall wird gebaut – nicht gekleckert, sondern geklotzt.

Ob das immer gut ist und was das für den Einzelnen bedeutet, der sein altes Wohnviertel zwangsräumen muss, weil drei Hochhäuser entstehen, steht auf einem anderen Blatt. Nichtsdestotrotz: Nicht nur die oberen 10.000 profitieren. Die Mittelschicht hat sich zwischen 2003 und 2013 praktisch verdoppelt. 1993 galten 60 Prozent der Vietnamesen als arm, heute sind es weniger als 12 Prozent. Schaut man im Anflug auf Ho Chi Minh City aus dem Flugzeug-Fenster, dann weiß man, woran es liegt: Wohin der Blick führt, Produktionshalle neben Produktionshalle. Vietnam ist auf dem besten Weg in Richtung Industrieland.

Nun mag der ein oder andere genau das kritisch sehen: Umweltverschmutzung, Auflösung der familiären Strukturen, lange Arbeitstage an den Fließbändern der Fabriken – es gibt viele negative Aspekte, die damit einhergehen. Was man jedoch nicht vergessen darf: Die Leute dort befinden sich auf einer anderen Stufe der Bedürfnispyramide. Es geht vielmehr um den sozialen Aufstieg, um das Ziel, dass es einem selbst materiell besser geht als der vorangegangen Generation.

Erzählt man im Gespräch, dass man aus Deutschland kommt, leuchten die Augen und das Gesprächsthema wandert schnell in Richtung deutscher Highlights: Volkswagen, BMW und Mercedes. Naja ok, und vielleicht noch Fußball. 😉

Wer von den jungen Leuten in Deutschland unterhält sich noch groß über Autos? Das Thema – dazu gibt es Studien – wird bei uns immer unwichtiger. Wir unterhalten uns eher über die neuesten Car-Sharing-Modelle oder darüber, welche Stadt das beste Fahrradweg-Netz hat. Fahrrad? In Vietnam? Habe ich so gut wie nicht gesehen. Roller! Die ganze Nation fährt Roller. Stinkende, lärmende Roller.

Ich glaube man muss sich da generell mal etwas entspannen. Wir dürfen nicht mit der Arroganz des gesättigten Westlers auf diese Länder blicken und kopfschüttelnd feststellen, was die intensive Industrialisierung mit diesen macht. Auch in Deutschland sah es in vielen Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts nicht groß anders aus. Seit nicht mal vierzig Jahren ist der Umweltschutz in unseren Köpfen (und auch politisch) nachhaltig angekommen – dann nämlich, als es uns materiell besser ging.

Ich bin der festen Überzeugung, dass man in wenigen Jahrzehnten ein Land wie Vietnam kaum wiedererkennen wird: industrialisiert, breite Mittelschicht, soziale Absicherung und hohe Umweltstandards.

Dass die Entwicklung in die richtige Richtung geht, haben wir bei unserem abschließenden Zwischenstopp in Shanghai genießen dürfen: Uns erschien die Stadt im Vergleich zu Ho Chi Minh wie ein Luftkurort. Warum? In bestimmten Bereichen dürfen nur noch Elektro-Roller fahren. Leise, sauber und zudem noch so günstig, dass sie auch für die breite Masse erschwinglich sind. Die Chinesen investieren übrigens massiv in erneuerbare Energien. Das ist gut für die Luft und gut für die Wirtschaft: China ist mittlerweile führend in der Produktion von Solarpanelen – und zwar so gut und günstig, dass die deutsche Konkurrenz da in jüngster Vergangenheit große Probleme bekommen hat. Auch dieser Prozess geht natürlich nicht von heute auf morgen. Wahrscheinlich dauert es auch in China noch zwanzig, dreißig Jahre, bis die Luft tatsächlich sauber ist.

Fazit der Reise: Es war toll, horizonterweiternd, inspirierend – und erkenntnisreich:

Diese Länder sichern unseren langfristigen Wohlstand.

Wer soll denn zukünftig unsere ganzen Produkte kaufen? Unsere alternde und sich dezimierende Nation?? Auch wir sind absolut darauf angewiesen, dass sich Länder wie Vietnam, China und weitere in der Region langfristig gut entwickeln. Und gut entwickeln heißt: Der breiten Masse muss es besser gehen. Denn es ist die breite Masse, die in den kommenden Jahrzehnten die Nachfrage nach unseren Gütern und Dienstleistungen treibt. Ob diese hier oder dort produziert werden, spielt gar nicht so eine große Rolle.

Und klar, ich würde diesen Blog nicht betreiben, wenn ich die Entwicklung in den Schwellenländern nicht auch durch die Anleger-Brille betrachten würde:

Profitieren kann man als Anleger, indem man z.B. über einen ETF in die entsprechenden Länder-Indizes investiert. Ist einem das zu risikoreich, kann man auch in deutsche Indizes investieren und profitiert so indirekt davon, dass gerade deutsche Unternehmen viel in diese Märkte exportieren bzw. im besten Fall auch vor Ort mit Produktionen vertreten sind.

Und so haben alle was davon: Die Unternehmen bekommen Kapital, um die Aktivitäten vor Ort auszubauen. Für die einheimische Bevölkerung werden Jobs geschaffen. Mit dem verdienten Geld wird mehr konsumiert. Das freut die Unternehmen – und einen selbst als Aktionär.

Sind die materiellen Bedürfnisse irgendwann halbwegs gedeckt, dann geht’s verstärkt um Umweltschutz und ähnliche Themen. Ich bin sicher, viele dieser Länder sind auf einem guten Weg, auch wenn es augenscheinlich oder akustisch im Moment manchmal anders erscheint.