Politiker, dreht beim Thema Rente an den richtigen Stellschrauben!
Alle naselang spricht man über die Reform des deutschen Rentensystems. Alle paar Jahre werden Konzepte vorgelegt. Und ich denke jedes Mal: Hoffentlich drehen sie an den richtigen Stellschrauben!
Größte Herausforderung ist die Überalterung der Gesellschaft. Derzeit sind rund 35 Prozent aller Deutschen im erwerbsfähigen Alter in Rente. 2040 sollen es schon 51 Prozent sein. So zumindest die Hochrechnung.
Immer weniger Beitragszahler für immer mehr Beitragsempfänger.
Die Stellschrauben, an denen gedreht werden kann, liegen natürlich auf der Hand: Entweder man erhöht den Beitragssatz der arbeitenden Bevölkerung oder man senkt das Rentenniveau auf der Empfängerseite. Alternativ dreht man gleich an beiden Schrauben etwas, damit alle Gruppen die Belastung gleich verteilt schultern und keiner Wählergruppe vor den Kopf gestoßen wird. Ansonsten käme noch infrage, das Renteneintrittsalter von aktuell 67 auf z.B. ein Alter von 70 zu erhöhen.
Natürlich machen jeweils ein paar Prozentpunkte mehr beim Rentenbeitrag oder weniger bei der Rentenhöhe ganz schön was aus. Die Politiker könnten damit das Liquiditätsproblem der Rentenversicherung auf einen Schlag lösen und ggfs. auch den Steuerzuschuss, wenn nicht senken, dann zumindest stabil halten. Leittragende sind die Beitragszahler (und zwar sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber) und die Rentenempfänger. Ihnen bleibt unterm Strich monatlich weniger zum Leben, und Unternehmen müssen die höhere Abgabenlast schultern.
Das Regulieren der Höhe der Rentenbeiträge bzw. der Rentenzahlung selbst ist allerdings nicht die einzige Stellschraube, an der gedreht werden kann. Eine weitere Stellschraube befindet sich ganz woanders.
Die Rede ist von der Stellschraube, die sich ZWISCHEN Rentenbeitragszahler und Rentenempfänger befindet: Würde hier mal effizient gewirtschaftet werden, würde das Ausmaß des Problems ganz schnell zurückgehen bzw. gegebenenfalls komplett verschwinden.
Zur Entlastung des gesetzlichen Rentensystems wurde im letzten Jahrzehnt ein staatlich gefördertes privates Altersvorsorge-System ins Leben gerufen – Riester und Co. wurden entwickelt. Die Absicht war gut – über Steuervorteile und Zulagen wurden Anreize geschaffen, die bezweckten, dass die Bürger privat vorsorgen. Problem dabei:
Das, was eigentlich den Bürgern über Steuervorteile und Zulagen zu Gute kommen sollte, steckt sich heute die private Finanzwirtschaft ein.
Für Banken und Versicherungen war das Zurückfahren der staatlichen Rente und die Förderung der privaten Altersvorsorge das Geschäft des Jahrhunderts. In Zuge dessen hat sich ein riesiger Apparat aufgebaut. Eine ganze Heerschar von Finanzvertrieblern verdient gutes Geld damit, die Produkte an den Mann/die Frau zu bringen. Aber nicht nur das – auch ein riesiger administrativer Aufwand ist entstanden: Zulagen und Förderungen müssen beantragt, genehmigt und überprüft werden. Würde man dies alles einmal aufbrechen, also dafür sorgen, dass nicht noch zig andere Parteien bei der eigenen Altersvorsorge mitverdienen bzw. für die Abwicklung bezahlt werden müssen, wäre schon sehr viel gewonnen.
Eine weitere Stellschraube im System: Die gesetzliche Rente funktioniert im Umlageverfahren. Das heißt: Das, was auf der einen Seite durch die Beitragszahler eingezahlt wird, wird auf der anderen Seite direkt wieder an die Rentenempfänger ausgezahlt. Keine Chance also, um mit dem Geld über Jahrzehnte zu arbeiten.
Bei der staatlich geförderten privaten Altersvorsorge (Riester, Rürup und Co.) spart jeder Versicherte über Jahrzehnte an, ein großer Teil der Beiträge wird am Kapitalmarkt angelegt.
Dadurch jedoch, dass jedem Einzahler garantiert wird, dass er zumindest seine eingezahlten Beiträge am Ende herausbekommt, werden die Gelder sehr konservativ und damit unrentabel angelegt.
Chancen des Aktienmarktes zum Beispiel werden nur in sehr geringem Ausmaß wahrgenommen. Die Antwort ist also einfach: Die Beiträge müssen besser, sprich rentabler, angelegt werden. Dass angesichts der Beitragsgarantie keine Versicherung das Risiko tragen möchte, ist in gewisser Weise zu verstehen. Würden alle gemeinsam das Risiko auf ihren Schultern verteilen, würde die Rechnung höchstwahrscheinlich aufgehen. Da dies die Versicherungsindustrie aus meiner Sicht nicht hinbekommt, könnte hier der Staat eine verantwortliche Rolle tragen.
Die Beitragsgarantie übrigens, und das ist den meisten – würde ich behaupten – nicht bewusst, bezieht sich nur auf die nominal geleisteten Beiträge. Die Inflation wird nicht berücksichtigt. Die Kaufkraft, also das, was man sich von der Summe seiner Beiträge später im Rentenalter noch kaufen kann, verliert Jahr für Jahr. Bei einer durchschnittlichen Inflation von zwei Prozent pro Jahr halbiert sich diese alle 35 Jahre. Das sollte einem heute 30-Jährigen bewusst sein.
Kurzum: Weder Beitragshöhe noch Rentenhöhe sind die großen Stellschrauben. Bevor man an diesen dreht, sollte man „den Apparat“ dazwischen neu aufstellen. Und ja, die Gesellschaft überaltert. „Immer weniger Einzahler für immer mehr Empfänger!“ Dass die Anzahl an Rentnern in den kommenden Jahren/Jahrzehnten drastisch zunehmen wird, das ist ein Fakt. Aber wer sagt denn eigentlich, dass die Anzahl der Erwerbstätigen zurückgeht? Im Moment sieht es überhaupt nicht danach aus. Und selbst wenn wir Deutschen nicht mehr genug Kinder bekommen für all die freien Arbeitsplätze, gibt es außerhalb unserer Landesgrenzen noch genug Leute, die liebend gerne in Deutschland arbeiten würden. Dem müssen wir uns öffnen!
Ein weiterer Punkt, der immer außer Acht gelassen wird: Als die deutsche Rentenversicherung Ende des vorletzten Jahrhunderts gegründet wurde, lag die Regelaltersgrenze, also das Alter, zu dem die Leute in Rente gehen „durften“, bei 70 Jahren. Nur wenige haben diese Grenze überhaupt erreicht und – wenn doch – dann nur kurz überlebt. Wie konnte die Rentenversicherung bis heute all diese Leute „durchfüttern“, die zwanzig und mehr Jahre Rente beziehen, ohne dass das gesamte System kollabiert ist? ….. Das Geheimnis ist der Produktivitätszugewinn. Die steigende Produktivität der Wirtschaft und ihrer Beschäftigten hat dazu geführt, dass Deutschland sich dies leisten konnte. Auch diesen Aspekt sollte man bei der ganzen Rentendiskussion nicht komplett außer Acht lassen.
Die Diskussion über das Problem der Überalterung und der damit verbundenen Herausforderung für das Rentensystem sollte nicht immer nur in Bezug auf absolute Beitragshöhe bzw. Rentenhöhe geführt werden. Es gibt noch viel mehr Stellschrauben dazwischen. Ich hoffe die neu geschaffene Rentenkommission wird die Empfehlung geben, dass auch an diesen seitens der verantwortlichen Politiker gedreht werden sollte – gerne auch etwas mehr!